Es braucht auch Trubel, um behütet zu sein

Thüringer Regionalbischöfe besuchten im Kirchenkreis Sonneberg diakonische Einrichtungen zwischen Kindergarten und Tafel und sparten nicht mit Dankesworten für deren Unterstützer. Hintergrund ist die anstehende Kirchenkreisfusion in Südthüringen.

Haselbach/Sonneberg – Die Geschichte von der Ameise, die im Regen einen sicheren Platz sucht und ihn unter einem Pilzhut findet, interessiert die Kinder. Grade eben noch im Vormittagstrubel hören sie jetzt auf ihren kleinen Stühlen und Bänken aufmerksam zu. Dass da ein paar große Leute dabeisitzen, die sie noch nicht gesehen haben, stört sie nicht.

Unbefangen spielen sie mit, wenn sie versteckte Dinge unter einer Decke hervorholen sollen – einen Fahrradhelm, eine Wintermütze und natürlich das Käppi ihres Kindergartens in Haselbach. Klug erklären sie gleich, dass solche Dinge, die schützen und behüten, ganz wichtig sind.

Der Friedrich-Fröbel-Kindergarten ist eine evangelische Einrichtung und eine der zahlreichen Stationen, die die beiden Thüringer Regionalbischöfe Friederike Spengler und Tobias Schüfer Ende Februar besuchten. Anlass ist die für 2026 anstehende Fusion von vier Südthüringer Kirchenkreisen zum Kirchenkreis Südthüringen. Die ist mit kirchenpolitischen und verwaltungstechnischen Veränderungen verbunden.

Doch die Gelegenheit, das soziale Wirken der Diakonie in der Praxis zu erleben, lassen sich beide nicht entgehen. Und sie nehmen sich auch Zeit für den ausführlichen Gedankenaustausch mit Beschäftigten und ehrenamtlichen Unterstützern, ganz gleich, wo sie zu Gast sind.

In Haselbach erfahren sie, dass es den evangelischen Kindergarten seit 1993 gibt – damals in einem kleinen Haus. Da war der Ort noch selbstständig. Seit Ende 2013 ist er ein Stadtteil von Sonneberg. Drei Jahre später war das einstige Rathaus mit viel Geld in einen Kindergarten umgebaut. Mittlerweile überwunden sei der Ärger darüber, dass dafür in Spechtsbrunn ein Kindergarten, dessen Modernisierung viel zu aufwändig gewesen wäre, geschlossen werden musste, schätzt die Leiterin Dorit Roß ein.

Der Alltag der 35 Kinder, der fünf Erzieherinnen und der Hauswirtschaftsmitarbeiterin ist nicht nur wegen der christlichen Botschaft, die sie kindgerecht vermitteln wollen, etwas Besonderes. Die Kinder sollen auch schon früh selbstständig werden. Wer drei ist, darf sich das Frühstücksbrot selbst schmieren und den Tee selber einschenken. Die Hochbeete draußen ermöglichen den Kleinen, Pflanzen beim Wachsen zu beobachten, sie zu pflegen und mit den Früchten Erntedank zu feiern. Generell wird Wert auf das Leben in und mit der Natur gelegt. Frühstück im Wald kennen die Kinder, erst recht, seit es eine eigene Schutzhütte dort gibt, wo man von Frühjahr bis Herbst den Waldtag begehen kann.

Sonnebergs Bürgermeister Heiko Voigt hat es zumindest beeindruckt, als er mal dabei war und sah, dass Nieselregen den Kindern nichts ausmachte, sie ihn stattdessen über die verschiedenen Baumsorten „aufklärten“. Ein Kindergarten im Stadtzentrum habe solche Möglichkeiten leider nicht – 15 Kitas gibt es in seinem Amtsbereich. In mancher habe fast jedes zweite Kind einen ausländischen Hintergrund. In Haselbach ist es nur eines.

Den beiden Bischöfen erzählt er noch von anderen Besonderheiten. Wenn beispielsweise neben der Schutzhütte Brennnesseln wachsen, dann rufe niemand beim Bauhof an. Das „Problem“ beheben Kita und Eltern gemeinsam. Es gebe in Haselbach wirklich sehr engagierte Bürger, betont er und verweist auch auf den Bürgerverein, der die obere Etage des Gebäudes für seine vielen Veranstaltungen mit nutzt.

Mit Anne Leypold, der Elternbeiratsvorsitzenden, ist in Personalunion zugleich ein Vereinsmitglied in der Gesprächsrunde dabei. Als sie erzählt, dass sie in diesem Raum auch mit der Tanzgruppe trainiert, wissen die Besucher, warum der Raum bodentiefe Spiegel hat… Einziges Manko: Bisher wurde noch keine bautechnische Lösung gefunden, wie man einen Fahrstuhl für ältere oder behinderte Bürger einbauen könnte.

Je mehr die beiden Bischöfe von Dorit Roß und ihrer Stellvertreterin Yvonne Scharnow erfahren, wie vielfältig und lebendig es in diesem Haus zugeht, desto beeindruckter sind sie. Friederike Spengler, die vor ihrem Theologiestudium auch als Erzieherin tätig war, hebt den pädagogischen Aspekt hervor: „Es ist so wichtig, dass Kinder lernen, was man liebt, das schützt man auch.“

Tobias Schüfer resümiert: „Der Kindergarten hat nicht nur Bedeutung für die Kinder, er ist ein Aktivposten, wie man im ganzen Ort gut miteinander und füreinander leben kann.“ Er will zugleich wissen, wie es mit Kindergärten generell weitergeht. Heiko Voigt spricht von insgesamt rückläufigen Kinderzahlen – obwohl man in Haselbach bald mit 40 Kindern rechnet. Er bekräftigt zugleich für seine Stadt: „Die Baulichkeiten gehören alle uns. Auf die Vielfalt der Träger legen wir ausdrücklich Wert, und über Schließungen denken wir nicht nach.“

Den Trubel mit Kleinen und das Behütetsein noch im Gedächtnis geht es zur Tafel Sonneberg weiter. Dort geraten die Besucher in die „heiße Phase“. Im Ausgaberaum wuseln Frauen wie Männer und bereiten die eingesammelten Lebensmittelspenden für den Verkauf vor. Radieschen werden vom Grünzeug befreit und in kleine Tüten gepackt, Obst und Gemüse sortiert, Regale eingeräumt, damit es ab 14 Uhr ordentlich, übersichtlich und appetitlich aussieht. Dass diejenige, die mit am schnellsten ist, schon 88 Jahre zählt, erfahren die Kirchenleute später. Ebenso, dass ein Helferpaar aus dem viele Kilometer entfernten Lichte kommt.

Sylvia Möller, Leiterin der Tafel und zugleich auch Leiterin des Flüchtlingsprojektes „Gemeinsam stark“, kennt seit 14 Jahren die Praxis. Gegründet wurden die Tafeln in Deutschland ja eigentlich, um Lebensmittel, die sonst aussortiert und vernichtet worden wären, bedürftigen Menschen zu geben. Nach wie vor sei es eine wichtige Motivation, Verschwendung zu reduzieren, sagt sie. Doch die Zahl der Bedürftigen ist gewachsen, vor allem seit der ersten Flüchtlingswelle 2015 und seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine.

Ihre aktuelle Statistik sieht so aus: Derzeit werden 612 Menschen, darunter 210 Kinder, nach einem festen Zeitplan und zu einem eher symbolischen Preis mit Lebensmitteln versorgt. Dazu hat die Tafel an vier Tagen in Sonneberg und freitags in Neuhaus geöffnet. Die insgesamt 61 Helfer leisten die dafür notwendige Arbeit alle im kostenlosen Ehrenamt – Durchschnittsalter etwa 60 Jahre.

Jede Woche kämen etwa 15 Leute neu, die einen Tafelausweis möchten, sagt sie. „Aber unser Angebot ist begrenzt, und angesichts des Alters kann man den Helfern nicht immer mehr zumuten“, betont sie. Klaus Stark, Vorstand der Diakonie Sonneberg und Hildburghausen/Eisfeld, erinnert an die Anfänge, als mancher Bürger ein Problem damit hatte, dass sich so etwas wie die Tafel überhaupt mitten in einer Stadt ansiedelt. Von Wertverlust der Häuser sei die Rede gewesen, und die Warteschlange Bedürftiger wollte mancher nicht ertragen. Diese Einstellung habe sich zum Glück gewandelt, die Bedürftigkeit leider nicht.

Wer Sylvia Möller näher kennt, weiß um ihr Organisationstalent, ihren Ideenreichtum, ihr Netzwerk-Spinnen und dass sie viel mehr initiiert, als die Tafel zu organisieren. „Nebenbei“ wurden Starterpakete für Flüchtlinge aus der Ukraine zusammengestellt, Empfangsbroschüren in zig Sprachen entwickelt mit Infos zu Ämteradressen bis zu Regeln für die Mülltrennung. Fahrräder wie Rollatoren wurden gesammelt und verteilt. Nicht alles wurde von Empfängern auch geschätzt.

Nach wie vor kommen Menschen und suchen Hilfe bei Formularen oder Bewerbungen. Letzteres bestätigt auch ihre Kollegin Michaela Gottwald, die unter anderem in Hildburghausen Sozialberatung anbietet und ein Kleiderlädchen der Diakonie leitet. Die Not treibe zunehmend jetzt auch Rentner in ihre Einrichtung, hat sie festgestellt.

Zu all dem gibt es in den Räumen der Sonneberger Tafel an mehreren Tagen kostenlose Nachhilfe für Kinder. Acht ehrenamtliche „Lehrer“ unterstützen 37 syrische, irakische, albanische, afghanische und deutsche Kinder beim Lernen. Antje Hoger erzählt an vielen Beispielen, wie sinnvoll und erfüllend, aber auch kompliziert das sein kann.

Als die Liste immer länger wird, äußert der Bischof: „Ich bin Ihnen allen von Herzen dankbar. Aber wie kann eine Gesellschaft so selbstverständlich davon ausgehen, dass schon irgendjemand immer da sein wird, der sich kümmert?“ Friederike Spengler äußert: „Dass es Kinderarmut und Altersarmut gibt, dass Ungerechtigkeit zunimmt, damit dürfen wir uns nicht abfinden. Aber dass wir hier Menschen kennengelernt haben, die nicht reden, sondern handeln und die mit viel Wertschätzung und Warmherzigkeit miteinander umgehen – das ist beeindruckend.“

be